Inland
Angesichts eines steigenden Anteils von muslimischen Schülerinnen und Schülern brauche es sowohl ein neues Unterrichtsfach für demokratische Bildung als auch den Religionsunterricht, sagt der an der Wiener Universität lehrende Theologe Jan-Heiner Tück.
Online seit gestern, 13.50 Uhr
Besonders gefordert sei der islamische Religionsunterricht, der zum Dialog statt zur Abgrenzung führen solle. Letztlich gehe es um eine „Domestizierung des politischen Islam durch Wissenschaft und Pädagogik in Seminaren und Klassenzimmern“, so Tück in einem Beitrag auf der Plattform Communio.de. Nachsatz: „Hier ist der Einsatz aller Akteure gefragt.“
Hintergrund für den Beitrag Tücks sind aktuelle Erhebungen, wonach Muslime in Wien mit über 40 Prozent mittlerweile den höchsten Anteil in den Pflichtschulen bilden – mit steigender Tendenz. Zwar sollten die Zahlen nicht einfach auf ganz Österreich hochgerechnet werden, da städtische Zentren für Migranten deutlich attraktiver seien als das Land, „dennoch stimmen die Zahlen nachdenklich“.
Kein Grund für Alarmismus
Diese signifikante Veränderung seien aber kein Grund für Alarmismus oder kulturkämpferischen Parolen, so der Dogmatikprofessor: „Wer hier an 1683 erinnert, an jenes historische Datum, an dem die Türken vor Wien zurückgeschlagen wurden, schürt religionspolitische Konflikte und erschwert das gesellschaftliche Zusammenleben. Umgekehrt ist ein vor allem in akademischen Kreisen verbreiteter Multikulturalismus verfehlt und verantwortungslos, da er notorisch und blauäugig den wachsenden Einfluss der Strömungen des politischen Islam ausblendet.“

Parallelgesellschaften verhindern
So würden moderate Muslime selbst schon länger darauf hinweisen, dass es im Spektrum des politischen Islam radikale Stimmen gibt, die ganz unverblümt Migration und Demografie als Instrumente eines Dschihad mit friedlichen Mitteln betrachten. „Die weitere Entwicklung in der Gesellschaft und besonders auch an den Schulen ist daher sorgsam im Blick zu behalten“, so Tück, der der Theologischen Kommission der Österreichischen Bischofskonferenz und der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz angehört.
Die Datenerhebung über die Pflichtschulen Wiens zeige auch, dass in einem Segment der islamischen Schüler abschätzige Einstellungen gegenüber Juden und gegenüber der Gleichberechtigung von Mann und Frau vorherrschten und grundlegende Werte wie Freiheit, Pluralismus und Demokratie in Zweifel gezogen würden. Hier müssten das Bildungsministerium und die Schulbehörden dringend gegensteuern und kreative Präventionsmaßnahmen ergreifen.
Tück: „Das friedliche Zusammenleben mit Andersdenkenden und Andersgläubigen kann nicht früh genug eingeübt werden, um die Ausbreitung von Parallelgesellschaften zu verhindern.“ Daher sei der Vorschlag des Bundesministers für Bildung, Christoph Wiederkehr, zu begrüßen, ein für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtendes Fach „Leben in der Demokratie“ einzuführen.
Islamunterricht gefordert
Allerdings sei das nur die eine Hälfte. „Die andere muss ein islamischer Religionsunterricht sein, der im Rahmen der Werteordnung Österreichs stattfindet.“ Daher sei es sinnvoll und gut, dass es an der Universität Wien das Institut für islamische theologische Studien gibt, so der Uni-Professor. Hier sollten künftige Religionslehrer ausgebildet werden, die eine reflexive Haltung zur eigenen Religion einnehmen und von fundamentalistischen Kurzschlüssen Abschied genommen haben.
„Damit Integration in pluralistischen Gesellschaften gelingen kann, bedarf es eines Religionsunterrichts, der zwischen der Förderung religiöser Identität und der politischen Instrumentalisierung klar unterscheidet“, betont Tück. Religiöse Bildung dürfe sich nicht im affirmativen Wiederholen konfessioneller Selbstverständlichkeiten erschöpfen, sondern müsse „Raum für kritische Selbstreflexion eröffnen“.
Dialog fördern
Gerade im islamischen Religionsunterricht sei es von zentraler Bedeutung, dass Lehrkräfte theologisch gebildet, pädagogisch versiert und demokratisch verankert sind. Nur so könne verhindert werden, dass der Unterricht zur Bühne für religiöse Abgrenzungsstrategien oder politische Einflussnahmen wird, die den Grundprinzipien eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens zuwiderlaufen. Auch der Religionsunterricht sollte den Dialog zwischen Glaubensüberzeugungen und modernen Gesellschaftsordnungen fördern, den Reflexionsraum erweitern und junge Menschen dazu befähigen, sich im Spannungsfeld von Tradition und Gegenwart verantwortlich zu positionieren.
Insofern komme dem islamischen Religionsunterricht eine doppelte Aufgabe zu: „Er soll religiöse Identität stärken, ohne die universale Achtung vor der Würde jedes Menschen zu relativieren – und zugleich zur gesellschaftlichen Teilhabe motivieren, ohne die kritische Distanz zum Eigenen preiszugeben.“ Integration werde auf diese Weise „nicht zum Akt der Selbstverleugnung, sondern zum Weg der Verständigung zwischen Muslimen, Christen und Juden – getragen von einem aufgeklärten Glauben, der sich seiner Tradition bewusst bleibt und sich zugleich dem Gespräch mit der säkularen Moderne öffnet“.